
Gesellschafterversammlungen und Beschlüsse in Zeiten der Corona-Pandemie im GmbH-Recht
Von Philipp Weisgerber. Der Autor war bis Juli 2024 Rechtsanwalt bei Lahann, Pikolleck Partner, Rechtsanwälte, Steuerberater PartG.
Aktuelle Situation
Die seit Frühjahr 2020 auch in Europa angekommene „Corona“ Pandemie hat neben den allseits bekannten Problemen und Einschränkungen des öffentlichen Lebens auch gravierende Einschnitte im Bereich des Gesellschaftsrechts mit sich gebracht. In Zeiten von Kontaktbeschränkungen und „social-distancing“ erschien die alt hergebrachte und im Gesellschaftsrecht weiterhin gebräuchliche Form der Versammlung und Beschlussfassung in Präsenzveranstaltungen als nicht mehr tragbar.
Um unter anderem auf diese Problematik eine adäquate Antwort zu finden, hat der Gesetzgeber am 27.03.2020 das Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beschlossen (kurz COVMG), welches am selben Tag in Kraft getreten ist.
Dieser Beitrag soll in der gebotenen Kürze einen Handlungsfaden spinnen, an dem sich Gesellschafter und Geschäftsführer von Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH) in Bezug auf die Abhaltung von Gesellschafterversammlungen und bei der Abfassung von Gesellschafterbeschlüssen orientieren können.
Ausgangspunkt: die satzungsrechtlichen Bestimmungen
Ausgangspunkt jeder Beurteilung, welche Versammlungs- und Abstimmungsformen zulässig sind, sollte immer die Satzung, also der Gesellschaftsvertrag der GmbH sein.
In Bezug auf die satzungsrechtlichen Regelungen hat der Gesetzgeber den Gesellschaften im GmbH-Recht einen weiten Gestaltungsspielraum offengelassen. Diese Satzungsautonomie endet erst an dem Punkt, an dem Rechte Dritter oder unentziehbare Individualrechte der einzelnen Gesellschafter, z.B. das Teilnahmerecht, betroffen sind (BeckOK, § 48 Rn.6).
§ 45 II GmbHG bestimmt, dass die gesetzlichen Regelungen der §§ 46 bis 51 GmbHG, welche vor allem die Frage der Gesellschafterversammlung, deren Einberufung und die Beschlussfassung regeln, nur in Ermangelung besonderer Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages zur Anwendung kommen.
Erlaubt der Gesellschaftsvertrag demnach abweichend von § 48 GmbHG die Durchführung einer Gesellschafterversammlung im Rahmen einer Video- oder Telefonkonferenz oder die Beschlussfassung per schriftlichen Verfahren, so ist das in der Satzung festgelegte Prozedere einzuhalten.
Die gesetzliche Regelung des § 48 GmbHG
Ist in der Satzung der GmbH keine Regelung bezüglich Gesellschafterversammlung und Beschlussfassung zu finden, was heutzutage eher die Ausnahme darstellen sollte, so gilt der Grundsatz des § 48 I GmbHG, wonach die Beschlüsse der Gesellschafter in Versammlungen gefasst werden.
Als Versammlung im Sinne des § 48 I GmbHG ist dabei eine physische Zusammenkunft gemeint (Rowedder/ Schmidt-Leithoff GmbHG § 48 Rn. 1; Roth/Altmeppen GmbHG § 48 Rn. 2). Demnach sind andere Formen der Versammlung, z.B. auf virtueller Ebene nur statthaft, soweit sie eine Grundlage im Gesellschaftsvertrag finden.
Von der insoweit eng gefassten Regelung des Abs. 1 erlaubt § 48 II GmbHG jedoch die Ausnahme der schriftlichen Beschlussfassung (sog. Umlaufbeschluss) anhand zweier Alternativen.
Eine solche ist demnach entweder möglich, soweit alle Gesellschafter zu einem bestimmten Beschlussantrag ihre Zustimmung erklären (Alternative 1) oder alle Gesellschafter zumindest ihre Zustimmung zum schriftlichen Entscheidungsverfahren erklären (Alternative 2).
Was sich durch § 2 COVMG ändert, und was nicht
Aus der Regelung des § 48 II GmbHG folgt, dass gegen den Willen auch nur eines einzigen Gesellschafters eine Beschlussfassung im schriftlichen Verfahren nicht möglich ist, und es einer Beschlussfassung im Rahmen einer Versammlung im Sinne des § 48 I GmbHG bedarf.
Dieser Rechtslage ist der Gesetzgeber im Zuge der Corona-Pandemie mit der Regelung des Art.2 § 2 COVMG entgegengetreten.
Anders als in den Regelungen bezüglich der Aktiengesellschaft (Art. 2 § 1 I COVMG), wurde der Versammlungsbegriff in § 2 COVMG nicht auf online-Versammlungen erweitert. Ob eine solche Analogie daher im Bereich der GmbH zulässig ist, bleibt umstritten (Baumbach/Hueck/Noack, § 2 COVMG, Rn. 64)
Gemäß Art. 2 § 2 COVMG können abweichend von § 48 II GmbHG Beschlüsse der Gesellschafter in Textform oder durch schriftliche Abgabe der Stimmen auch ohne Einverständnis sämtlicher Gesellschafter gefasst werden.
Die getroffene gesetzliche Regelung hebt folglich für ihren Geltungszeitraum das Einstimmigkeitserfordernis der beiden Alternativen des § 48 II GmbHG auf.
Die Sonderregelung gilt grundsätzlich für alle Beschlüsse, die die Gesellschafter einer GmbH treffen können, einschließlich der satzungsändernden Beschlüsse des § 53 GmbHG (Baumbach/Hueck/Noack, §2 COVMG, Rn. 12). Einzig das Erfordernis der notariellen Beurkundung muss bei satzungsändernden Beschlüssen durch Abgabe der Stimme zu Protokoll eines Notars weiterhin gewahrt werden. Auch möglich ist die Abhaltung einer Gesellschafterversammlung durch eine von den Mitgesellschaftern bevollmächtigte Person (Stimmrechtsvollmacht), welche daraufhin unter Befreiung von § 181 BGB vor dem Notar zur Beurkundung erscheint (Schulte, GmbHR 13/2020 S. 690).
Hochumstritten und auf Grund der kargen gesetzlichen Regelung des Art.2 § 2 COVMG nicht eindeutig geklärt ist die Frage, inwieweit Beschlüsse, die eine Versammlung im Sinne des § 48 I GmbHG ausdrücklich vorschreiben, ebenfalls in Zeiten der Corona-Pandemie im Umlaufverfahren getroffen werden können. Solche Beschlüsse, welche vor allem im Umwandlungsrecht in Form der Verschmelzung (§ 13 I S.2 UmWG), der Spaltung (§ 125 S.1 UmwG) und des Formwechsels (§ 193 I S.2 UmwG) zu finden sind, könnten daher auch im Wege einer Analogie dem vereinfachten schriftlichen Verfahren unterliegen (Baumbach/Hueck/Noack § 2 COVMG, Rn.15 f.; Wicke NZG 2020, S.502).
Ebenfalls nicht abschließend geklärt ist, in welchem Verhältnis Art.2 § 2 COVMG und Satzungsregelungen stehen, die sich auf Gesellschafterversammlung und Beschlussfassung beziehen.
Hier gilt es wohl zu differenzieren. Bei einer Satzungsregelung, die lediglich deklaratorischen Inhalts ist, weil sie den Wortlaut des Gesetzes (§ 48 GmbHG) wiedergibt scheint eine analoge Anwendung des Art. 2 § 2 COVMG im Sinne des Gesetzgebers, der in seiner Gesetzesbegründung die Handlungsfähigkeit in Zeiten von Kontaktbeschränkungen aufrechterhalten wollte.
Ob durch Art. 2 § 2 COVMG allerdings Satzungsregelungen, welche Beschlussfassungen z.B. in Online-, Telefon- oder virtuellen Versammlungen vorsehen, eingeschränkt und durch eine schriftliche Beschlussfassung verdrängt werden können scheint zweifelhaft. Denn Sinn des Gesetzes ist lediglich die Aufrechterhaltung der Handlungsfähigkeit in Pandemie-Zeiten, und keine generelle Verschlankung und Verschriftlichung des Verfahrens. So muss aus Gründen der Satzungsautonomie eine solche gesellschaftsvertragliche Regelung von der Anwendung des Art. 2 § 2 COVMG unberührt bleiben (Römermann, Leitfaden für Unternehmen in der Covid-19 Pandemie, Rn. 80 f., wohl auch Wicke, NGZ 2020, S. 502).
Verfahren
Zur Initiierung eines Umlaufbeschlusses ist ebenso wie für die Einberufung einer Gesellschafterversammlung die Geschäftsführung berechtigt (§ 49 I GmbHG). Zum Schutz etwaiger Minderheitsgesellschafter muss dieses Recht zudem Gesellschaftern zustehen, die mindestens 10 % des Stammkapitals auf sich vereinigen (§ 50 I GmbHG). Ungeklärt und umstritten bleibt die Frage, ob sich auch Gesellschafter unterhalb der 10 % Schwelle im vereinfachten Verfahren nach Art. 2 § 2 COVMG auf dieses Recht berufen können. Das Initiativrecht wird dieser Gruppe im Verfahren des § 48 II GmbHG zugestanden, da dort eine einstimmige Entscheidung erforderlich ist. Anders ist dies im Verfahren nach Art. 2 § 2 COVMG, da dort lediglich eine einfache Mehrheit zustande kommen muss (Baumbach/Hueck/Noack § 2 COVMG, Rn. 24). Die Satzung kann zum Initiativrecht auch abweichende Regelungen treffen (§ 45 GmbHG).
Erforderlich bleibt jedoch zumindest, dass alle Gesellschafter über die geplante Beschlussfassung informiert werden (§§ 16, 40 GmbHG), da das COVMG gerade nicht das „Durchregieren“ der Mehrheit zu Lasten der Minderheit zum Ziel hat. Der Eindruck von Überraschungsentscheidungen soll damit vermieden werden. § 51 I GmbHG sieht als Informationskanal den eingeschriebenen Brief vor. Auch von dieser Regelung kann durch Satzungsvereinbarung abgewichen werden. Inhaltlich sollte in dieser Information auf die vereinfachten Mehrheitserfordernisse des Art. 2 § 2 COVMG hingewiesen werden und außerdem auf den Antragsteller, die Art der Stimmabgabe und die Frist zur Stimmabgabe hingewiesen werden. Darüber hinaus ist die Angabe erforderlich, wer Empfangsberechtigter für die Stimmabgabe ist.
Nicht geklärt bleibt die Frage, ob vor der Stimmabgabe im Umlaufbeschluss eine wie auch immer geartete Diskussionsplattform, für sich eventuell ergebende Meinungsverschiedenheiten, zur Verfügung gestellt werden muss. Zu denken wäre hier an die vorherige Abhaltung einer Telefon-/Videokonferenz. Eine generelle Verpflichtung zur Beratung wird im Hinblick auf die Aufrechterhaltung der Handlungsfähigkeit zwar abzulehnen sein, sie kann jedoch aus der Satzung, dem Gesetz selbst und, in Ausnahmefällen, aus dem Grundsatz der Treubindung gegenüber den übrigen Gesellschaftern geboten sein (Baumbach/Hueck/Noack § 2 COVMG, Rn. 32).
Zur Wahrung der Mitwirkungsrechte der Gesellschafter muss eine angemessene Frist zur Stimmabgabe gesetzt werden. Diese kann sich bei Fehlen satzungsspezifischer Regelungen an der Frist des § 51 I GmbHG orientieren (Wicke, NZG 2020, 502).
Bezüglich der Mehrheitserfordernisse bleiben auch unter Art. 2 § 2 COVMG durch die Satzung festgelegte Quoren und Mehrheitserfordernisse in Kraft (Römermann Gruppe Leitfaden Covid Rn.109; Baumbach/Hueck/Noack, § 2 COVMG, Rn. 43).
Fazit
Die zur GmbH gefasste Regelung im COVMG ist, im Vergleich zu der Regelung für die Aktiengesellschaft, die Genossenschaft, die S.E und für den Verein eher kurz ausgefallen und nicht frei von Interpretationsspielräumen. Dies verwundert angesichts der großen wirtschaftlichen Bedeutung der Rechtsform der GmbH in der deutschen Wirtschaftsstruktur.
Die Antwort auf die Frage, was zur Vorbereitung und rechtswirksamen Durchführung von Gesellschafterbeschlüssen in Corona-Zeiten zu tun ist, hängt folglich stark vom Einzelfall ab.
Erste Station bei der Beantwortung dieser Frage sollte immer der Gesellschaftsvertrag und dessen Regelungen zur Gesellschafterversammlung sein.
Ergeben sich daraus keine zu § 48 GmbHG abweichenden Regelungen, so kann eine Beschlussfassung im Umlaufverfahren unter den oben genannten Voraussetzungen durchgeführt werden.
Dabei ist umso mehr Vorsicht geboten, wenn die Satzung Gesellschafterversammlungen und Beschlussfassung in einer anderen als der gesetzlichen Form des § 48 I GmbHG zulässt.
Gerade die Frage der Erstreckung des Art. 2 § 2 COVMG auf abweichende Satzungsregelungen lässt dieser unbeantwortet. Der daraus resultierenden Rechtsunsicherheit konnte sich auf Grund des bis dato kurzen Geltungsrahmens kein Gericht annehmen.
In solchen Fällen sollte zur Absicherung des zu treffenden Beschlusses das satzungsgemäße Prozedere unter den oben aufgeführten Grundsätzen genau eingehalten werden.